Wer so lang gewartet hat, für den kommt es auf das bisschen dann auch nicht mehr an. Trotzdem waren bei Manuel Neuer Anzeichen von Ungeduld zu erkennen, als der Anstoß des Testspiels zwischen Österreich und Deutschland nach hinten verschoben werden musste. Wieder. Und wieder. Es begann mit beträchtlichem Hagel, es folgten Wind und Regen. Blitze zuckten über den grauen Himmel. 18 Uhr? Nein. 18.35 Uhr? Mitnichten. 19.15 Uhr? Auch nicht. Erst um 19.40 Uhr, also mit 100-minütiger Verspätung, konnte die Partie, die knapp vor einer Absage stand, angepfiffen werden. Neuer kehrte 599 Tage nach seinem letzten Länderspiel ins deutsche Trikot zurück. Das 1:2 (1:0), die erste Niederlage Deutschlands gegen Österreich nach 32 Jahren, konnte aber auch er nicht verhindern. Ein Ergebnis, das den deutschen Optimismus vor der WM eintrüben dürfte.
Des Torwarts Anspannung vor dem Spiel war durchaus erklärlich. Für den Mannschaftskapitän war diese Partie schon vor Wochen als entscheidender Gradmesser ausgerufen worden. Und zwar von Bundestrainer Joachim Löw persönlich. Kann Neuer spielen und fühlt sich gut dabei, fährt er als Nummer 1 mit nach Russland zur WM (14. Juni bis 15. Juli).
Der Münchner konnte und wollte – aber der Regen verzögerte sein Comeback. Dreimal kamen Neuer und die Mannschaftskollegen zum Aufwärmen hinaus auf den Rasen, ehe es den nächsten Guss am Wörthersee gab und der Anpfiff wieder nach hinten verlegt werden musste. Pfützen auf dem Platz, Gefahr für die Spieler. Offenbar wird das zu einer Art ungewollter Vorbereitungstradition: Beim ebenfalls vorletzten Test vor der EM 2016 gegen die Slowakei (1:3) regnete es in Augsburg derartig, dass bei der Schuhwahl Flossen angebracht gewesen waren.
Pfiffe für Özil und Gündogan
Als die Partie dann endlich begonnen hatte, hielt sie eine Besonderheit parat. Pfiffe aus dem deutschen Fan-Block gegen zwei deutsche Spieler: Mesut Özil und Ilkay Gündogan wurden in den Anfangsminuten bei jedem Ballbesitz abgestraft, offensichtlich für ihr Treffen mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor einigen Wochen. Özil beeinträchtigte diese aber offenbar keineswegs. Er traf nach elf Minuten mit einem Schlenzer an den Innenpfosten zur Führung. Österreichs Torwart Jörg Siebenhandl hatte den Treffer mit einem Fehlpass auf den Torschützen möglich gemacht.
Im Rest der ersten Halbzeit war es eher Manuel Neuer, der die Blicke auf sich zog. Und es lassen sich aus dieser Zeit viele erfreuliche Feststellungen machen, die darauf hindeuten, dass der 32-Jährige in den acht Monaten seiner verletzungsbedingten Absenz (Mittelfußbruch) wenig vom Manuel-Neuer-Sein eingebüßt haben könnte. Die Kapitänsbinde passte weiterhin akkurat an seinen linken Arm, der rechte Reklamierarm reklamierte noch immer zügig und zuverlässig.
Vor allem aber – daran zweifelte allerdings niemand ernstlich – bot Neuer ein bisschen was aus dem sportlichen Repertoire, für das man ihn im weltweiten Torhüter-Business so schätzt. Die Schüsschen des Schalkers Alessandtro Schöpf (14. und 16. Minute) packte er sich konzentriert, schon beachtlicher geriet Neuers höchst gewagtes, aber gelungenes Zusammenspiel mit Niklas Süle (17.). Vollends zufrieden dürfte Löw aber gewesen sein, als Neuer den Schuss des frei vor ihm auftauchenden Florian Grillitsch mit einem prächtigen Reflex noch parierte (32.).
Brandt scheitert an Siebenhandl
Der Zufriedenheitsfaktor des Bundestrainers mit allen anderen Mitarbeitern bewegte sich ansonsten eher so im mittleren Bereich. Die deutsche Mannschaft vermochte den Ballbesitz nicht in Torchancen zu verwandeln. Joshua Kimmich und der debütierend Nils Petersen bereiteten eine Gelegenheit von Julian Brandt vor, doch der Leverkusener scheiterte an Siebenhandl (20.).
An dieser Rollenverteilung änderte sich zu Beginn der zweiten Halbzeit erst einmal – nichts. So witterten die Österreicher eine Chance. Der Münchner David Alaba schoss wuchtig, aber noch etwas zu hoch (51.). Zwei Minuten machte es der Augsburger Martin Hinteregger das entscheidende bisschen besser. Einen Eckstoß nahm er aus spitzem Winkel volley und drosch ihn an Neuers Händen vorbei - welch Frevel – ins Tor. Der frühere Bremer Marko Arnautovic scheiterte kurz danach am starken Neuer (54.), Peter Zulj schoss daneben (66.). Die deutsche Defensive wackelte – und Alessandro Schöpf nutzte das zu einem hübsch herauskombinierten 2:1 (69.). Neuer? Machtlos.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Löw bereits Timo Werner und Marco Reus eingewechselt. Für letzteren war es die Rückkehr in die Nationalmannschaft nach 759 Tagen.